Wohnung tauschen: Sharing für Fortgeschrittene
Umweltfreundlich, kostengünstig und erst noch mit einer Prise Abenteuer in den Urlaub? Das gibt es mit Wohnungstausch-Ferien. Der Luzerner Cyrill Studer Korevaar hat die schönste Zeit des Jahres bereits zwölf Mal so verbracht. Dabei haben er und seine Familie todsichere Verhütungsmethoden, Kefirpilz-Pflege und DDR-Propaganda kennengelernt.
Sommerferien 2023?! Zunächst gilt es, gemeinsam den ersten Winter zu meistern, in welchem die Schweiz nach jahrzehntelanger Absenz wieder mit dem Begriff «Versorgungssicherheit» konfrontiert ist. Hoffentlich kommen wir alle mit einem blauen Auge davon und ziehen die richtigen Lehren für unseren klimaverträglichen Energieumbau daraus. Dazu gehört auch die Gestaltung der Ferien.
Und da ist der Wohnungstausch eine interessante Möglichkeit: Sie beruht einzig auf der vorhandenen Infrastruktur, die ja für das alltägliche Leben erstellt wurde. Also: kein zusätzlicher Bodenverbrauch, keine zusätzlichen Materialien, keine kalten Betten während mehrerer Monate im Jahr. Die eigene Luzerner Wohnung zu tauschen braucht einige Monate Vorlauf und geht weit über das uns vertraute Sharing wie zum Beispiel bei Mobility hinaus. Das eigene Zuhause mit all den persönlichen Gegenständen Leuten zu überlassen, die man noch nie gesehen hat, wirkt allerdings auf viele befremdend.
Rebound-Effekt. Was ist das?
Bevor es in die Details geht, etwas Theorie: Aus Umweltsicht muss der Rebound-Effekt von Beginn angegangen werden. Rebound was? Damit ist in der Energieökonomie eine Art Bumerangeffekt gemeint: Ein gewünschtes Einsparpotenzial führt auch zu Kosteneinsparungen. Der so erzielte Gewinn wird im schlechteren Fall für energieintensiveres Verhalten ausgegeben. Beispiel: Eigentlich kann ich mir mit meiner Familie bloss Jugendherbergeferien in der Schweiz leisten. Mit dem Wohnungstausch spare ich jedoch die Übernachtungskosten, die wir stattdessen für eine Flugreise nach Mallorca ausgeben.
Rebound-Effekte lauern überall und können wohl bloss mit bewusstem Verzicht verhindert werden. Unsere persönliche Bilanz aus zwölf Tauschferien ist durchzogen: Acht Orte in der Schweiz, Deutschland, Frankreich und den Niederlanden erreichten wir mit dem Zug. Bei vier weiteren waren wir weniger konsequent: Eine Flugreise (2015, Risør, Norwegen), eine Automiete (2013, Lucca, Italien) und zweimal das ausgeliehene Fahrzeug meines Vaters (2011, Toggenburg, SG, und 2012, Täuffelen, BE).
Die eigene Luzerner Wohnung wird zum Ferienresort
Wohnungstausch-Vorreiter war die US-amerikanische Organisation «Homelink», die ab den 1930er-Jahren ein entsprechendes Programm für Uni-Dozierende aufbaute. Dazu wurden dicke Kataloge erstellt, in denen sich die Tauschwilligen vorteilhaft präsentierten, inklusive möglicher Zeitfenster. Mit der Digitalisierung verlagerte sich alles rasch ins Internet. Damals wie heute braucht es zunächst eine Mitgliedschaft, die je nach Anbieter jährlich etwas mehr als 100 Franken kostet. Danach präsentierst du dich und deine Luzerner Wohnung mit Fotos und Text als unverzichtbares Ferienresort, wartest in der Folge auf Angebote oder gehst selber auf die Pirsch.
Dabei helfen dir Angebots- und Suchmöglichkeiten, welche Regionen und mögliche Zeitfenster rasch matchen lassen. Geld fliesst dabei keines. Nach Abschluss bewerten sich die Beteiligten gegenseitig. Ein Mustervertrag bietet beiden Seiten eine gewisse Rechtssicherheit. Meine Frau, unsere beiden inzwischen erwachsenen Töchter und ich stiessen immer auf eine sehr grosse Gastfreundschaft: saubere Wohnungen (eine Ausnahme), sympathische Willkommensgesten (Champagner im Kühlschrank), bereitgestellte Fahrräder und haufenweise Ausflugstipps.
Urlaub nach dem Zufallsprinzip
Am interessantesten fand ich das Zufällige: Wir waren eher passiv unterwegs, liessen uns also von Anfragen leiten und entdeckten dadurch unbekannte Regionen. Und natürlich tauchten wir jedes Mal in andere Lebensrealitäten und kulturelle Trouvaillen ein. Eine kleine Auswahl: DDR-Propaganda-Jugendliteratur (2008 in Plasselb). Deftige britische Satire-Serie «Little Britain» (2009 in Groningen). Japanische Studio-Ghibli-Trickfilme (2010, Wohnboot, Amsterdam). «Gregs Tagebuch» (2011 in einem Pfarrhaus in Täuffelen). Margret Atwoods «Report der Magd» (2012 in Biarritz), Freikirchen-Haushalt mit umfangreicher Literatur, Glaubenssätzen usw. (2013 in Berlin).
Dann gab es auch einiges Kurioses: Zum Beispiel Katzen hüten (zumindest 2010 in Amsterdam und 2014 in Lucca). Oder einen 1.-August-Bauernhof-Brunch, bei dem der kleine Balthasar meine deutlich ältere und einen Kopf grössere Erstgeborene beim Schwingen innert Sekunden auf den Rücken legte (2011 im Toggenburg). In Berlin mussten wir die Gartentür wegen herumstreunender Wildschweine schliessen.
Erlebnisse in Paris, Lucca und Amsterdam
Einen liebevoll geschmückten Weihnachtsbaum, der bereits am Weihnachtsabend fast alle Nadeln abgeworfen hatte, gab es 2014 in Paris. Tägliche Kefirpilz-Pflege und anschliessendes Weiterführen in Luzern bescherten uns die Ferien 2014 in Lucca. Die Entdeckung einer todsicheren Verhütungsmethode in Form eines unglaublich wabbelnden Wasserbetts bot ein Ausflug 2015 nach Risør. Oder auch die Kleinstwohnung im ausgesprochen multikulturellen Umfeld 2016 in Amsterdam war ein interessantes Erlebnis.
Planbarkeit und Verpflichtung
Unsere letzten Tauschferien liegen mittlerweile sechs Jahre zurück. Die individuelleren Ferienpläne unserer Töchter beeinflussten die notwendige Planbarkeit und die Bedingung, unsere Luzerner Wohnung im Tauschzeitraum unbewohnt zu hinterlassen. Wir blicken jedoch sehr gerne auf diese Ferien zurück und reihen uns somit bei Jimmy Carter und seiner Gattin ein, die bereits im Jahre 1976 ihr Haus auf einer Erdnussfarm vorübergehend mit einer brasilianischen Familie tauschten.
Was müssen Tauschwillige beachten?
- Mehrmonatiges Planen im Voraus: Absagen ist unfair und geht bloss im absoluten Notfall.
- Du kannst enttäuscht werden. Es gilt: Je attraktiver die Lage und das Tauschobjekt, desto interessanter ist man in diesem Tauschgeschäft. Nicht alles klappt auf Anhieb. Aber meist ist auch die zweite Wahl faszinierend.
- Eine umfangreiche Wohnungsbedienungsanleitung (am besten in Englisch) ist zentral und muss regelmässig nachjustiert werden. Diese enthält selbstverständlich auch ultimative Tipps für die Gäste in Luzern (also mindestens Dampfschifffahrt, Gletschergarten und Sedel-Konzerte).
- Die unmittelbare Nachbarschaft über die kommenden Gäste informieren und eine Notfall-Person in Luzern verpflichten.
- Neben dem Abreisestress muss vorgängig die eigene Wohnung aufgeräumt und gereinigt werden. Hingegen: Man kann sich im Vorfeld gegenseitig die Einkaufsliste mailen. Dann ist am Zielort der Kühl- und Vorratsschrank bereits nach Wunsch gefüllt. Die «teurere Partei» legt am Ende die Preisdifferenz auf den Küchentisch.
- «Fremde» leben in der eigenen Wohnung (bloss in drei Fällen begegneten wir den anderen). Unsere persönliche Schmerzgrenze lag bei den Kopfkissen: Die eigenen verstauten wir jeweils im Keller und holten dafür die «Gäste-Kopfkissen» hervor.
- Und am Schluss heisst es dann wieder putzen. Dafür kommt man dann in die eigene, saubere Wohnung zurück.
Und jetzt? Rebound-Effekt beachten und dann ran an die Ferienplanung!
Ich miete – kann ich meine Wohnung trotzdem tauschen?
Ja. Jedoch: Du kannst für allfällige Schäden belangt werden. Unverzichtbar ist also dein Vertrauen in die Gäste (was auf seriösen Plattformen bei gut bewerteten Parteien kein Problem sein sollte). Zusätzlich ist das Mitteilen und Einfordern der Hausregeln (Nachtruhe!) zwingend. Ausserdem spricht wenig dagegen, die Verwaltung oder die Eigentümerschaft vorgängig zu informieren und bei Problemen vor Ort durch die verpflichtete Notfall-Person informiert zu werden.