Mit Luzerner Lichterlöschen gegen den Blackout
Russlands Angriffskrieg rückt bei uns die Energieversorgung in den Fokus. Deshalb setzt der Verein Weihnachtsbeleuchtung Luzern diesen Advent auf Kerzen. Bei Rudolfs Weihnacht hingegen leuchtet das Inseli wie eh und je. Sind die einen übervorsichtig? Oder die anderen verantwortungslos? Eine Einordnung.
Es war auch schon einfacher, Entscheidungen zu fällen: Vor Kurzem noch hielt uns die Coronapandemie auf Trab. Inzwischen ist es die drohende Energiekrise. Beide Ereignisse sind durch Unwägbarkeiten geprägt und bei beiden gehen die Meinungen auseinander: Die einen klagen über allzu zögerliches Handeln, die anderen reden von Übereifer.
Schlauer ist man erst im Nachhinein, bis dahin überwiegt oft das Vorsorgeprinzip: Belastungen und Schäden für Mensch und Umwelt sollen trotz unvollständigen Wissens vermieden werden. Im Zweifel also eher zugunsten der Vorsicht. Auf den aktuellen Energiewinter übertragen: Vorausschauend Strom sparen oder die Heizung runterdrehen – auch dann, wenn noch alles in Ordnung scheint. Jedoch, wo beginnen und wo aufhören? Etwa Wellnesscenter oder Skigebiete schliessen, bloss um dann im März festzustellen, dass alles kein Problem war?
Schon wieder: Entscheidungsdilemma
Corona war da schon beinahe einfach: Einflussgrössen wie Impfrate, Ansteckungswellen oder Spitalkapazitäten erlaubten ein ständiges Nachjustieren. Handkehrum: Im Extremfall eines weitflächigen Stromausfalls fliesst einen Augenblick davor noch Strom, danach läuft einfach mal nichts mehr. Was dies für unsere hochtechnologisierte Gesellschaft und erst noch im Winterhalbjahr bedeuten würde, wollen vermutlich die wenigsten am eigenen Leibe erfahren.
Schon seit Monaten wird viel darüber geschrieben, Behörden treffen Vorbereitungen und Private legen allenfalls Notvorräte an. Und sonst? Derzeit läuft alles wie gehabt. Am konkretesten zeigt sich die Debatte vermutlich bei der Weihnachtsbeleuchtung.
Sind die Vorsichtigen übervorsichtig?
Nicht zu beneiden war der Verein Weihnachtsbeleuchtung Luzern, der sich bereits Ende September zugunsten von 500 Kerzen statt der üblichen LED-Beleuchtung der neuesten Generation entschieden hatte. Der LED-Verzicht spart den Jahresstromverbrauch einer vierköpfigen Familie ein (4'000 Kilowattstunden). Die nun eingesetzten Kerzen dürften insgesamt aber einiges energieintensiver sein. Jedoch spielte auch die Gefahr eines möglichen Weihnachtsbeleuchtungsverbots eine Rolle.
Das Resultat wirkt auf mich diese Tage etwas ernüchternd, so etwa beim Mühlenplatz: eine dunkle Weihnachtstanne mit einigen Kerzen rundherum. Wenige Schritte weiter, bei der Kram- und der Rössligasse, prasselt die übliche Strassen- und Schaufensterbeleuchtung unvermindert auf die Flanierenden ein. Besinnlichkeit ist anders.
Sind die Zuversichtlichen verantwortungslos?
Anders wirkt es auf dem Inseli: An bester Lage präsentiert sich Rudolfs Weihnacht mit Lichterglanz, Holzfeuern und ölbeheizten Essprovisorien. Von Energieknappheit keine Spur, Zuversicht allenthalben. Auf der Website erfährt man, dass dank verschiedener Massnahmen etwa ein Fünftel des Strombedarfs eingespart wird. Übrig bleiben nach eigenen Angaben immer noch zirka 160'000 Kilowattstunden. Ein Besuch vor Ort zeigt: Die Menschen sind da. Die Stimmung ist gut. Selbst der Schnee kam dieses Jahr noch rechtzeitig.
Richten es die Privaten?
Und was geschieht im privaten Bereich? Ein neuer Begriff macht die Runde: «Lichtscham». Und diese ist weit ab vom Inseli in den Wohnquartieren allgegenwärtig. Es ist deutlich dunkler, üppige Beleuchtungen sind rar und in der Regel auf die Abend- und Morgenstunden beschränkt.
Was man sieht, scheint zu zählen: Ob jemand mit LED-Weihnachtsstern auf dem Balkon beispielsweise mit freiwilligen 18 Grad Celsius in der Wohnung oder kaltem Duschen überkompensiert, ist nicht ersichtlich. Einzelne rechtfertigen sich sogar in Leserbriefen. Derweil nimmt der schweizerische Energieverbrauch trotz breiten Sparappellen und Infokampagnen bisher nicht merklich ab.
Ausgewertet wird im Frühling
So viel ist klar: Mehr oder weniger öffentliche und private Weihnachtsbeleuchtungen entscheiden nicht über Stromblackouts, tragen aber – wie alle Stromanwendungen – zum einen oder anderen Szenario bei. Und klar ist ebenso, dass erst im Frühling abgerechnet wird: Verläuft alles glimpflich, werden die Vorsichtigen vielleicht mit Häme eingedeckt. Kommt es zu Stromunterbrüchen, wird man sich an die fälschlicherweise Zuversichtlichen erinnern.
Wünschenswert bei beiden Szenarien bleibt aus meiner Sicht, sich gemeinsam und noch verstärkt für eine erneuerbare, klimafreundliche und unabhängige Energieversorgung einzusetzen. Und sei es bloss, weil es auch Ende 2023 wieder eine Adventszeit geben wird.