Wäre die Welt eine andere, hätte man E-Autos früher gefördert?
Der Kanton Luzern fördert neu die Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge und trägt dazu bei, einen historischen Fehler zu entschärfen. Denn E-Mobile hatten vor 110 Jahren die Nase vorn, bis die Benziner durchstarteten. Wäre die Welt heute besser, wenn es anders gekommen wäre?
Die Klimakrise ist da, die Ursachen sind bekannt, die Lösungen ebenfalls. Kaum jemand bezweifelt, dass etwas geschehen muss und die schnellste Veränderung findet derzeit auf unseren Strassen statt: Das vollelektrifizierte Modell 3 von Tesla war 2021 das meistverkaufte Auto in der Schweiz – etwas, was vor wenigen Jahren noch niemand für möglich gehalten hätte.
Gab es vor kurzem bloss eine Handvoll Ladestationen, wird inzwischen an allen Ecken und Enden umgerüstet: Haus- und Wohnungsbesitzer tun dies zu ihrem eigenen Vorteil. Aber auch Mietparkplätze ohne E-Ladestation werden in Zukunft wohl hintanstehen.
Im Kanton Luzern gibt es seit anfangs Jahr zusätzlichen Schwung: Man hat nicht nur die Beiträge für die Förderprogramme Energie nahezu verdoppelt; neu werden auch Elektro-Ladeinfrastrukturen in Mehrparteiengebäuden gefördert. Pro erschlossenem Parkplatz gibt es 400 Franken an die Basisinfrastruktur und 500 Franken an die eigentliche Ladestation. Gefördert wird ab drei Wohneinheiten, die Maximalsumme beträgt 10’000 Franken.
In Kombination mit Solarstrom besonders wirkungsvoll
Unsere Erfahrung bei der Umweltberatung Luzern zeugt von einer hohen Nachfrage. Gleichzeitig sind die Voraussetzungen nicht immer einfach und man muss etliche Details beachten: Die Qualitätsanforderungen an die Förderfähigkeit bedingen eine frühzeitige und exakte Planung. Aber auch verbreitete komplexe Eigentumsmodelle wie Stockwerkeigentümerschaften oder Einstellhallen mit mehreren Beteiligten setzen Diskussions- und Konsensfähigkeit voraus.
Klappt dies und werden mithilfe der Fördergelder tatsächlich Benziner und Diesler abgelöst, ist für das Klima und die Umwelt einiges gewonnen: Denn über den gesamten Lebenszyklus sind E-Fahrzeuge deutlich nachhaltiger als fossil betriebene Fahrzeuge. Erst recht wenn sie mit erneuerbarem Strom bewegt werden – eine der zahlreichen Voraussetzungen für die kantonalen Fördergelder. Und falls man den benötigten Strom auf dem eigenen Dach, dank vom Bund unterstützter Photovoltaik-Technologie produziert, entsteht eine besonders wirkungsvolle und in aller Regel auch wirtschaftliche Kombination.
Lokale Elektrizität versus konzentrierte Öl-Macht
Alles in allem eine Erfolgsgeschichte. Aber weswegen erst so spät? Bereits 1881 wurde nämlich das erste Elektroauto in Paris der Öffentlichkeit vorgestellt. Gut 20 Jahre später waren beim Autopionier USA 38 Prozent der Autos elektrisch, 40 Prozent dampfgetrieben und bloss 22 Prozent mit Benzin unterwegs. Das Entwicklungstempo bei den E-Mobilen war schon damals eindrücklich und so reichte um die Jahrhundertwende eine Batterieladung gut 100 Kilometer weit.
Dennoch startete zehn Jahre später der Benziner durch und hängte das E-Fahrzeug hinsichtlich Reichweite, Energiekosten und Bedienbarkeit ab. Lokale Elektrizität wurde zurückgestuft, stattdessen folgte ein weltweiter Öl-Boom in den Händen von wenigen, dafür sehr Mächtigen – Begleitet von Kriegen, Korruption und Unterdrückung, die etwa im Nahen Osten bis heute nachwirken. Ausserdem: Luftverschmutzung und Tankerunfälle. Und vor allem: menschenverursachte Einträge des klimaerwärmenden Gases Kohlendioxid in die Atmosphäre. Dieses blieb zuvor Hunderte von Millionen Jahren im Erdreich in Form von Rohöl konserviert.
Schicksalhafte Weichenstellung?
Was wäre heute, wenn das E-Mobil damals seinen Vorsprung ausgebaut hätte, und wäre der Benziner zusammen mit dem Dampffahrzeug verschwunden? Hätten sich aufgrund der Elektrizitätsnachfrage Windturbinen und die Photovoltaik-Technik bereits vor hundert Jahren durchgesetzt? Gäbe es entlang der Küsten leistungsfähige Gezeitenkraftwerke?
Hätten sich parallel dazu Wärmepumpen – die Umweltwärme für Raumheizungen nutzen – viel früher entwickelt? Würden wir heute gar keine Öl- und Gasheizungen kennen? Wäre die Kernenergie bereits Jahrzehnte zuvor zum Fliegen gekommen? Gäbe es neben Stauseen schon lange ähnlich effiziente Stromspeichermöglichkeiten? Alles in allem: Wäre unsere neuere Geschichte viel friedfertiger, ohne die unzähligen Öl-Despoten und Ölkriege? Und vor allem auch: Wäre die Klimakrise längst nicht so akut wie heute?
Futuristische E-Mobile? Nichts für Planet Erde!
Wir werden es nie wissen. Immerhin wird nun nach einem verlorenen Jahrhundert Tempo gemacht. Jedoch ist die Antriebstechnik bloss ein Aspekt: Auch E-Fahrzeuge brauchen wertvolle, energieintensive Ressourcen und werden längst nicht konsequent mit erneuerbarem Strom betrieben.
Als Individualfahrzeug bleibt der hohe Platzbedarf bestehen und leider scheint sich auch bei den E-Mobilen die Entwicklung zu überdimensionierten, unzweckmässigen Trendfahrzeugen fortzusetzen. Als Extrembeispiel dient ausgerechnet E-Mobil-Pionier Elon Musk mit seinem neuesten Teslaprojekt. Sein Cybertruck wird zweifellos elektrisch unterwegs sein. Bezüglich Ausmass und Design kupfert Musk jedoch beim postapokalyptischen Kultstreifen «Mad Max» ab. Der Cybertruck ist bestimmt ideal für die sandig-steinige Mars-Oberfläche. Aber für die gute alte Erde gänzlich überflüssig.