Friedliches Zusammenleben mit Wespen: Unmöglich?
Wespen sind lästig und aggressiv. Dieser Gedanke gilt als weit verbreitet. Regina Lenz ist nach einem Kurs jedoch der Meinung, dass ein Zusammenleben mit den Insekten möglich ist. Auch wenn in Luzern und Zug jährlich bis zu 80 Nester «gezügelt» werden müssen.
Wespen sind lästig, dachte ich zumindest, bis ich mich selber intensiv mit den faszinierenden Insekten beschäftigte. In der Schweiz sind neun verschiedene staatenbildende Arten bekannt, die meisten davon sind friedlich.
Friedlich?! Hätten Sie’s gewusst? Ich ehrlich gesagt nicht, bis anhin habe ich mich über die lästigen Besucher genervt und gehofft, dass ich nicht gestochen werde. Nie hätte ich das Wort friedlich im Zusammenhang mit Wespen gebraucht.
Wespenumsetzungskurs
Doch letzten Samstag hat sich meine Meinung gegenüber diesen Insekten im Grundsatz geändert. Mein Arbeitgeber hat mich an einen Hornissen- und Wespenumsetzungskurs geschickt. Mit gemischten Gefühlen machte ich mich auf den Weg ins Feuerwehrlokal einer Gemeinde unseres Nachbarkantons, um mehr über die gelb-schwarzen Tierchen zu erfahren.
Normalerweise zählen Insekten nicht zu meinen Lieblingstieren, aber ich muss zugeben, unter der Lupe sehen sie schon ziemlich niedlich aus. Auch von den Nestern habe ich eine gewisse Ehrfurcht entwickelt, das sind ja wirklich architektonische Meisterleistungen. Wenn man bedenkt, dass sie nur eine Saison bewohnt und bis zu 4 kg Lebendmasse beherbergen.
Mythos aus dem Weg räumen
Während des Kurses ist meine Furcht von Wespen rasch verschwunden und schlug in Begeisterung über. Die beiden Kursleiter haben so lebendig und mit grosser Freude über die Wespen berichtet, dass man am Ende des Kurses von der Friedfertigkeit der Wespen überzeugt war.
Auch der wohl bekannteste Mythos wurde aus dem Weg geräumt: Denn in vielen Köpfen steckt leider noch immer der Irrglaube, dass drei Hornissenstiche tödlich sind. Übrigens gehören auch die Hornissen zu der Familie der Faltenwespe. Tatsächlich sind es ungefähr 1000 Stiche, die es braucht, um einen 70 kg schweren gesunden Menschen lebensgefährlich zu verletzen.
Von «Rot» bis «Sächsisch»
Im Kurs lernten wir auch, dass wir uns von der Feldwespe überhaupt nicht fürchten brauchen, auch bei unmittelbarer Störung im Nestbereich bleibt diese Art friedlich und greift nicht an. Da die Feldwespe keine Nesthülle um die Wabbeln baut, lässt sich diese Art besonders gut beobachten.
Auch die Roten, die Norwegische, die Wald, die Sächsische und die Mittlere Wespe, welche man an den glatten wenig strukturierten Nestern erkennt, werden uns nicht lästig und werden als friedlich eingestuft. Sie interessieren sich nicht einmal für unser Essen.
Man mag es kaum glauben, aber auch die Hornissen gehören zu diesen friedliebenden Arten. Stört man diese Arten unmittelbar um den Nestbereich, kommt es natürlich zu Angriffen. Aber wie würden Sie reagieren, wenn man Ihre Kinder bedroht oder gar Ihr Haus zerstört?
«Lästige» Arten
Tja und dann gibt es da noch zwei Arten, die aggressiver scheinen. Es handelt sich dabei um die Deutsche und die Gemeine Wespe. Mitte September sind die Völker von diesen Arten am grössten. Die Brut muss ernährt werden, doch Baumsäfte und andere Insekten gehen in dieser Jahreszeit langsam zur Neige, da liegt es auf der Hand, dass eine andere Nahrungsquelle gesucht wird. Fleisch und Süssgetränke locken sie an und schon haben wir ungewünschte Besucher bei uns am Tisch und dies ist der Grund, wieso diese zwei Wespenarten als lästig bezeichnet werden.
«Mit etwas Geduld und Glück können Wespenköniginnen jetzt allerorts beobachtet werden.»
Schade eigentlich, denn wie jedes Lebewesen hat auch diese Wespe eine Aufgabe in unserem Ökosystem. Sie hat wie die Biene eine Bestäubungsfunktion und reguliert durch ihr Fressverhalten andere Insekten wie Mücken und Heuschrecken. Unser Kursleiter bezeichnet die Wespen sogar als kleine «Gartenhelfer». Spätestens wenn man die Wespen im Jahreszyklus beobachtet, wird einem bewusst, dass sie es alles andere als einfach haben.
Wespen beobachten
Nach der Winterstarre im Frühling «erwachen» die Jungköniginnen aller Arten und suchen sich einen geeigneten Ort für den Nestbau. Mit etwas Geduld und Glück können Wespenköniginnen jetzt allerorts beobachtet werden. Natürliche Lebensräume sind in Siedlungsgebiete rar, deshalb kann man es den Insekten nicht übel nehmen, wenn sie einen Rollladenkasten zweckentfremden.
Ganze 35–37 Tage ist die Königin auf sich alleine gestellt, baut die Erstlingswaben, legt Eier, verpflegt und schützt ihre Brut. Das Unterfangen Nestbau ist nicht immer von Erfolg gekrönt, bei den Hornissen beispielsweise gehen 80 Prozent der Nester ein. Deshalb sollte man keine Anfangsnester zerstören, wenn man eine Hornissenkönigin bei der Arbeit beobachtet.
Wie wäre es, sich einfach die Zeit zu nehmen, dem Schauspiel zuzuschauen und die Insekten genauer zu beobachten? Schafft es die Königin, die Brut heranzuziehen, wird sie bald von ihren eigenen Arbeiterinnen unterstützt. Das Nest wird grösser und die Volkszahl nimmt zu. Sollte das Nest an einem ungeeigneten Ort wie im Rollladenkasten sein, ist jetzt der ideal Zeitpunkt, um das Nest zu zügeln.
Die Umweltberatung Luzern gibt gerne Auskunft, wenn es dazu kommen sollte, und vermittelt an Wespenspezialisten, welche den Umzug in der Region Luzern und Zug übernehmen. Ein bleibendes Erlebnis, wenn man hautnah beim Umzug eines Wespennests mit dabei sein kann.
Übrigens zügeln die Wespenspezialisten bis zu 80 Nester pro Saison in unserer Region. Während der Hauptsaison erhält das öko-forum bis zu 15 Telefonate pro Tag von Personen, welche ein Wespennest bei sich zu Haus entdecken. Die meisten können überzeugt werden, friedlich mit den Insekten zusammen zu leben.
Im Sommer bzw. im Herbst, je nach Art, erreichen die Kolonien ihre grösste Volksstärke. Geschlechtstiere schlüpfen, Drohnen und Jungköniginnen fliegen für die Paarung aus. Die Zahl der Arbeiterinnen nimmt ab, die Königin ist für das Volk nicht mehr wichtig und zieht sich zum Sterben zurück. Alleine. Traurig, wenn man bedenkt, was sie alles geleistet hat. Nach und nach sterben die Arbeiterinnen und die Drohnen. Nur die begatteten Jungköniginnen überdauern den Winter. Im Frühling kann der Zyklus aufs Neue beginnen.
Faszination Insekten
Meine Furcht gegenüber Wespen ist einer Faszination für diese Insekten, die Unglaubliches leisten, gewichen. Dank des Kurses wurde mir wieder einmal bewusst, wie schnell wir etwas als lästig bezeichnen oder uns von etwas fürchten, ohne einen Grund dafür zu haben. Wespen sind wie Grasfrösche, Salamander oder Vögel auch Tiere, auch sie haben ein Recht auf Schutz und Arterhaltung.
Und ja, das Zusammenleben mit Wespen ist möglich und auch ich bezeichne jetzt Wespen als friedliche Wildtiere.
Blogger*in
Regina Lenz
ehemalige Mitarbeiterin Umweltberatung Luzern