Plastikrecycling, warum nicht in der Zentralschweiz?
Die Migros führt das Plastikrecycling Ende Juni im grossen Stil ein, mit Start in Luzern. Dies ausgerechnet in der Region mit einer der energieeffizientesten Kehrrichtverbrennungsanlagen der Schweiz. Während die Bevölkerung applaudiert und das Angebot zu nutzen verspricht, äussern Fachexperten ihre Zweifel. Darüber unterhält sich unser Blogger Andreas Merz mit Philipp Rohrer, Experte für Zero Waste bei Greenpeace Schweiz.
Andreas Merz: Vor einigen Tagen verkündete die Migros, das Plastiksammeln mit einem eigenen gebührenpflichtigen Sack einzuführen. Die Migros will den Plastikabfall zurücknehmen und dem Recycling zuführen. Ein Weg in Richtung Kreislaufwirtschaft, eigentlich eine gute Sache, oder?
Philipp Rohrer: Kreislaufwirtschaft tönt immer gut – die Frage ist, wo und wie man den Kreislauf schliesst. Die Migros versucht nun, beim Plastik einen Schritt in diese Richtung zu machen. Im Moment ist ein geschlossener Kreislauf beim Plastik aber noch Zukunftsmusik.
Andreas Merz: Aber irgendwer muss ja den Anfang machen! Schliesslich haben wir im Plastikrecycling im Gegensatz zu anderen Recyclingbereichen wie Papier, Pet oder Glas noch wenig Know-how und da musste jemand den Sprung ins kalte Wasser wagen.
Philipp Rohrer: Ja, wir möchten uns überhaupt nicht gegen Innovation und Weiterentwicklungen wehren. Ich wünschte mir aber, Industrie und Detailhandel würden sich in anderen Bereichen ebenso stark engagieren – zum Beispiel bei der Förderung von innovativen und hygienischen Offenverkaufssystemen und Mehrwegbehältern.
Andreas Merz: Könnte es sein, dass der Detailhandel mit dieser Plastiksammlung mehrfach profitiert? Einerseits legen sie sich ein gutes Image zu – Aldi und Lidl bieten ja beispielsweise Tetrapackrecycling an und nun kann die Migros mit ihrem neuen Pilotprojekt punkten. Andererseits könnte es sein, dass die Migros mit dem Plastikrecycling am Schluss sogar finanziell profitiert?
Philipp Rohrer: Ich glaube, der Detailhandel reagiert vor allem auf ein grosses Bedürfnis der Kundinnen und Kunden. Das sieht man auch bei anderen, ähnlichen Pilotprojekten wie zum Beispiel der neuen Plastiksammlung in einigen Gemeinden im Kanton Luzern. Da wird in der Kommunikation immer wieder betont, dass Plastiksammeln ein grosses Bedürfnis der Bevölkerung ist – ob es wirtschaftlich und ökologisch sinnvoll ist, scheint manchmal zweitrangig zu sein. Aber ich sehe noch ein weiteres Risiko.
Andreas Merz: Welches Risiko?
Philipp Rohrer: Dass die Konsumentinnen und Konsumenten jetzt denken, mit der Plastiksammmlung sei eine umweltfreundliche Lösung für das Plastikproblem gefunden worden. Und dass sie sich keine Gedanken machen müssen über Verpackungen und ihr Konsumverhalten allgemein. Somit könnten die Plastiksammlung und das Recycling zu einem höheren Verbrauch beitragen.
Andreas Merz: Das sehe ich auch so bzw. kenne ich ja auch von mir persönlich. Recycling gibt einem ein gutes Gefühl, etwas für die Umwelt zu tun. Der Konsum wird dabei nicht direkt in Frage gestellt oder vielleicht sogar noch angekurbelt. Aber wer weiss, vielleicht wird sich die Migros durch die türmenden Plastikberge vor ihren Filialen plötzlich bewusst, dass eigentlich sie als Detailhändlerin diese Unmenge an Plastik produziert und verkauft hat.
Wäre ein schöner und wichtiger Lernprozess und könnte die Migros animieren, weniger Plastikabfall zu produzieren oder das Experiment abzubrechen.
Philipp Rohrer: Ja, das ist möglich, wir werden es sehen. In dem Zusammenhang finde ich auch die Frage wichtig, wohin der Plastikabfall eigentlich für die Sortierung transportiert wird. Aktuell gibt es in der Schweiz ja keine Sortieranlage, der Plastik wird nach Vorarlberg oder Süddeutschland transportiert und dort maschinell sortiert.
Andreas Merz: Das ist ein weiterer wichtiger Aspekt. Aus der Zentralschweiz fahren zukünftig viele Lastwagen mit Plastik Richtung Süddeutschland. Dabei fahren Sie an der neuesten Kehrichtverbrennungsanlage (KVA) der Schweiz in Perlen vorbei, wo der Plastik bis jetzt verbrannt wurde.
Die Renergia, wie die KVA bei uns heisst, ist nicht nur ein Ort der Abfallverbrennung, sondern auch ein Kraftwerk. Aus Plastik entstehen Energie und die Energie wird in Form von Strom, Dampf und Fernwärme genutzt. Alleine die Papierfabrik Perlen kann dank der Dampfnutzung 40’000 Tonnen Heizöl pro Jahr einsparen. Die Migros hätte für ihr Pilotprojekt vielleicht Regionen aussuchen können, in der ältere KVA mit einem schlechten Wirkungsgrad stehen.
Dort ist der Umweltnutzen des Plastikrecyclings viel grösser, wie eine Untersuchung von Real Luzern vor ein paar Jahren eindrücklich zeigte. Nicht aber bei uns in der Zentralschweiz.
Philipp Rohrer: Die Migros will ja die Plastiksammlung in der Folge auf die ganze Schweiz ausweiten. Was aber in der Diskussion oft vergessen geht: Plastik wird aus Erdöl oder Erdgas hergestellt und hat somit auch eine Bedeutung für den Klimawandel. Ein Blick auf die Wachstumsprognosen der Kunststoffindustrie zeigt, dass Kunststoff in den nächsten Jahren einen immer wichtigeren Anteil am verbleibenden CO2-Budget einnehmen wird.
Und: die grossen Erdölfirmen haben Plastik als zukunftsträchtigen Markt entdeckt, welcher im Gegensatz zu fossilen Treib- und Brennstoffen noch grosse Wachstumsraten ermöglicht.
Andreas Merz: Das ist ein spannender Punkt. Fakt ist, der Klimawandel zwingt uns dazu, unseren Erdölverbrauch zu reduzieren. Wir verbrauchen noch immer enorm viel Energie in Form von Erdölprodukten, sei es in Form von Benzin, Heizöl, Erdgas oder Plastik.
Schaut man sich die Umweltbelastungspunkte unseres Konsums an, so fällt auf, dass Abfall nur gerade 2,5 Prozent der Umweltbelastung des gesamten Konsums ausmacht. Einsparungen im Bereich von Mobilität, Ernährung oder Wohnen schenken viel mehr ein. Zudem können schon dünne Plastikverpackungen dazu beitragen, Foodwaste (Beispiel Gurke) zu reduzieren, und machen deren negative Auswirkungen mehr als wett.
Insofern kann uns eigentlich das Thema Verpackung egal sein. Moderne KVA machen das Beste aus dem Abfall. Diese sinnvolle Entwicklung der KVA sollte aber nicht dazu führen, dass immer mehr Plastik produziert und konsumiert wird, das wäre definitiv das falsche Signal.
Philipp Rohrer: Auf jeden Fall. Und man darf nicht vergessen: Plastik belastet die Umwelt entlang des ganzen Lebenszyklus: Bei der Förderung von Erdöl oder Erdgas entstehen immer wieder schwere Unfälle, welche die Umwelt verschmutzen. Petrochemische Fabriken, in welchen die Ausgangsstoffe für Kunststoffe hergestellt werden, verdrecken die Luft und stellen damit eine Gefahr für die lokale Bevölkerung dar.
Und nicht zuletzt das Littering: In der Schweiz landen jedes Jahr rund 14’000 Tonnen Plastik in der Umwelt.
Andreas Merz: Das ist leider so und Plastik in der Umwelt rückt zu Recht neu in den Fokus. Vielleicht hat die Migros die Chance verpasst, anstelle des zwiespältigen Plastikrecyclings dem Problem des Litterings entgegenzuwirken. Mit den vielen Wegwerfprodukten fördert sie das Littering indirekt.
Hätte die Migros auf ihre Produkte eine kleine vorgezogene Entsorgungsgebühr eingeführt, hätte sie damit beispielsweise Gemeinden oder Landwirte unterstützen können, den Abfall wieder einzusammeln.
Philipp Rohrer: Auch das ist in meinen Augen Symptombekämpfung. Ich fordere die Migros und die anderen Detailhändler auf, gemeinsam mit den Nahrungsmittelproduzenten innovative Lösungen zu entwickeln, die nicht ausschliesslich auf Wegwerfverpackungen basieren.
Andreas Merz: Das ist natürlich richtig. In diesem Bereich liegt noch einiges brach. Wir brauchen in unserem Büro in der Zwischenzeit für unsere Mittagsverpflegung Mehrweggeschirr. Bei einigen kleinen Take-aways im Bruchquartier ist das möglich.
Gehe ich aber zu Migros oder Coop, kaufe ich jedes Mal einen Berg Plastikabfall mit ein. Vielleicht können wir diesen Aspekt in einem kommenden Artikel etwas genauer beleuchten.
Philipp Rohrer: Sehr gerne!
Andreas Merz: Danke für das Gespräch.
Das Gespräch wurde in schriftlicher Form geführt.